Stolpersteine sind Mahnmale wider das Vergessen – für Jackie Kohnstamm wurden sie zur Chance, ihre eigene Familiengeschichte kennenzulernen. Bei einer zufälligen Recherche ihres Familiennamens stößt sie auf die Meldung, dass kurz zuvor für ihre Großeltern in Berlin Stolpersteine verlegt wurden. Damit beginnt für sie eine Reise in die Vergangenheit und eine er-schütternde Spurensuche, die sie nach Berlin und schließlich bis nach Theresienstadt führt und die sie in ihrem Buch Jeder Stein erzählt von einem Leben (erscheint am 29. November) festhält. Erst spät in ihrem Leben erfährt sie von den wahren Geschehnissen, die ihrer Familie und gerade ihren Großeltern in der Zeit des Nationalsozialismus widerfahren sind und beginnt zu verstehen, weshalb so lange darüber geschwiegen wurde – Entstanden ist so eine berührende Geschichte über Trauer, Verlust und darüber, dass das Erinnern uns Versöhnung und Verbundenheit schenken kann.
Seit Jackie Kohnstamm denken kann, liegt das Schicksal ihrer jüdischen Großeltern Max und Mally Rychwalski wie ein Schatten auf ihrer Familie, selbst wenn die Details unausgesprochen bleiben. Als Kind fühlte sie sich mit dem Thema alleine gelassen, mit elf Jahren erfährt sie, dass ihre Großeltern 1942 in Theresienstadt verhungert sind. Über die Jahre scheitern ihre Versuche, mehr über Max und Mally zu erfahren. Erst als ihre Mutter selbst im Sterben liegt, ist sie bereit, von ihrer Kindheit und der Familiengeschichte vor und während der Nazizeit zu erzählen. Jackie erfährt, dass insgesamt 22 Angehörige aus dem engsten Familienkreis ermordet wurden, dazu enge Freunde der Familie. Von ihrer Tante erbt Jackie zwar Briefe und Dokumente über die Familie, bringt es jedoch nicht über sich, die Papiere anzusehen – bis sie im Dezember 2005 im Internet entdeckt, dass in Berlin Stolpersteine für ihre Großeltern verlegt wurden. Jackie beschließt, spontan nach Deutschland zu reisen, denn sie realisiert, dass die Familie ihrer Mutter ihr weitaus näher ist, als ihr bisher bewusst war und der Verlust ihrer Angehörigen auch in ihr fortwirkt. Deshalb besucht sie eine Reihe von Orten aus der Vergangenheit: das Geburtshaus ihrer Mutter, die Werkstatt ihres Großvaters und das Wohnhaus ihrer Großtante, ein sogenanntes Judenhaus, in dem Juden vor ihrer Deportation gezwungen waren zu leben. Dieser erste Besuch wird zur Initialzündung: Jackie besucht Berlin häufiger, ist bei Gedenkveranstaltungen und der Verlegung von Stolpersteinen dabei und kommt mit anderen Hinter-bliebenen und Verwandten von ermordeten jüdischen Familien ins Gespräch.
In Rückblenden erzählt die Autorin aber auch immer wieder von der Vergangenheit und dem Leben ihrer Großeltern im Berlin der 1930er und 40er Jahre und schöpft ihr Wissen aus übersetzten Briefen, Dokumenten und den Erzählungen ihrer Mutter kurz vor deren Tod. Anhand der Briefe kann Jackie rekonstruieren, dass alle drei Kinder von Max und Mally bereits Mitte der 1930er Jahre aus Deutschland ausgereist sind, während sich die Eltern jahrelang weigerten, das Land zu verlassen – bis es am Ende zu spät war. Im August 1942 schreiben Max und Mally einen letzten Brief an ihre drei Kinder, in dem sie von der bevorstehenden Deportation nach Theresienstadt berichten. Als Jackie Zugriff auf Deportationslisten aus Theresienstadt in andere Vernichtungslager erhält sowie die Totenscheint der in Theresienstadt verstorbenen Juden, kann sie den Tod ihrer Angehörigen nachvollziehen und begreifen. Aus dem Leid erwächst für Jackie Kohnstamm neue Stärke – durch ihre Recherchen findet sie letztendlich einen Weg, mit der stets verschwiegenen Geschichte ihrer jüdischen Familie zu leben.
