Aktuelles | 27.11.2020 | Kailash

Interview mit Jens Corssen und Stephanie Ehrenschwendner zu »Lieben. Warum das größte aller Gefühle in Wahrheit eine Haltung ist«

media:image:7492566a-985d-469a-b806-565a32456820

"Die Poesie der Liebe und ihrer Erfüllung liegt im Prozess des Sich-Beziehens auf das ganze Leben. Es gibt keine halbe Verbindung mit dem Leben. Entweder ich fühle mich verbunden oder getrennt." Jens Corssen

media:image:213e2ae1-e999-4111-a255-e281629674a6

Manche finden zu Schulzeiten bereits die große Liebe, während andere ein Leben lang nach ihr suchen. Was ist das Geheimnis? Wie finden wir die große Liebe und können sie erhalten?

JC: Liebesromane und Hollywood-Schmonzetten gaukeln uns vor, die große Liebe käme über die Beziehung zu uns. Das Leben sei dann wunderbar. Wer sich verliebt, wer heiratet, hat nicht selten das Gefühl: Endlich habe ich es geschafft. Endlich bin ich ganz. Jetzt geht es mir gut. Dieser Mythos der großen Liebe fördert aber zugleich ein Gefühl der Bockigkeit, am Leben nicht als Ich, sondern nur als Wir teilnehmen zu wollen. Im großen Kontext der Liebe ist die Verbundenheit mit anderen Menschen aus meiner Sicht erst das Schlusslicht. Das kann man sich vorstellen wie ein Haus: Die Liebe zum Leben ist das Fundament, das einen unerschütterlich macht. Die Liebe zu sich selbst sind die Mauern und das Dach. Sie geben einem Sicherheit und Geborgenheit. Und die Beziehungen zu anderen Menschen sind alles, was das Haus im Innen und Außen verschönert.

SE: In gewisser Weise stehen Herr Corssen und ich genau für diese zeitliche Spannweite des Liebens. Er ist seit 42 Jahren verheiratet, während ich mich nach dem Ende einer zehnjährigen Partnerschaft vor einer Weile wieder frisch verliebt habe. Nach der Trennung versuchte zu verstehen, warum die Beziehung zu Bruch gegangen war: Hatte ich zu früh das Handtuch geworfen? War ich beziehungs- oder liebesunfähig? Oder war es einfach nicht die große Liebe gewesen, obwohl alles so romantisch begonnen hatte?  Aber so zu denken, half mir nicht weiter.  Fakt ist doch: Nirgendwo steht geschrieben, dass man mit 16 den Partner fürs Leben treffen muss. Am Ende geht es um eine liebende Haltung, mit oder ohne Beziehung.

 

Über die Liebe ist schon so viel geschrieben worden – was ist das Besondere an Ihrem Buch?

JC: Die Poesie der Liebe und ihrer Erfüllung liegt im Prozess des Sich-Beziehens auf das ganze Leben. Es gibt keine halbe Verbindung mit dem Leben. Entweder ich fühle mich verbunden oder getrennt. Aus diesem Grund ist Lieben vor allem aktives Tun und eine bewusste Haltung. Diese liebende Haltung, die unserem Buch zu Grunde liegt, umfasst so viel mehr als die Beziehung zu einem anderen Menschen. Die Triade – das bedingungslose Ja zum Leben an sich, zu sich selbst und zu den Menschen in ihrer Andersartigkeit ist die Voraussetzung, um wirklich lieben zu können.  Damit meine ich: Aus der Fülle lieben und nicht aus der Bedürftigkeit.

SE: Lieben ist ein Tätigkeitswort. So wie ein Verb einen Satz vervollständigt, komplettiert uns die Art und Weise, wie wir uns aufs Leben, auf uns selbst und andere beziehen. Erkenntnisse über die Liebe bringen dauerhaft nur wenig, wenn man sich nicht auf neue Erfahrungen und auf die Lebendigkeit, die das Leben mit sich bringen kann, einlässt. Auf diesen Erfahrungsaspekt haben wir uns in „Lieben“ konzentriert: Angereichert mit Erkenntnissen aus der Forschung, Übungen und persönlichen Geschichten eröffnet das Buch viele Möglichkeiten, um auf diese neue, dreidimensionale Art zu lieben.

 

Lieber Herr Corssen, Sie sind seit 50 Jahren als Verhaltenstherapeut tätig. Kann man lernen, in einer Beziehung glücklich zu sein?

JC: Aus meiner langjährigen Erfahrung weiß ich, dass fast jeder von uns sein Gehirn mit der Zeit auf Lieben programmieren kann. Denn Liebe spielt sich im Gehirn ab, und das kümmert sich nicht um dauerhaftes Liebesglück, sondern nur um unser Überleben. Es folgt gewissermaßen einem archaischen Dating-Programm, das im Dienst der Arterhaltung steht. Diese Mechanik zu erkennen ist der erste Schritt, um sich anders zu verhalten. Ein bewusst liebender Mensch akzeptiert, dass das Leben ein Synonym für Veränderung ist, dass nichts auf ewig bleibt, wie es ist. Er sucht im anderen also nicht nach Schutz und Erlösung von den Übeln der Welt und delegiert auch sein Glück nicht an den Partner. Es ist die Verantwortung eines jeden, die Ungewissheit des Lebens nicht als Bedrohung, sondern als Lebenselixir zu empfinden und in sich Freude und Fülle zu erschaffen, um sich in gehobene Stimmung zu versetzen, die auch in schwierigen Zeiten trägt.

Liebe Frau Ehrenschwendner, hat die Arbeit an dem Buch etwas in Ihnen verändert?

SE: Mit dem Buch habe ich gelernt, die Liebe im dreidimensionalen Raum zu betrachten. Die Liebe spüre ich immer da, wo ich voll und ganz bin. Ich finde, es ist ein Wagnis, sich mit über 50 noch einmal auf einen Menschen richtig einzulassen. Je älter man wird, desto mehr Erfahrungen hat man im Schlepptau, die einen prägen und es schwieriger machen, sich zu öffnen. Da ist es doch illusorisch, sofort die perfekte Partnerschaft zu erwarten. Im vergrößerten Raum der Liebe weiß ich: Selbst wenn es mal knarzt in der Beziehung oder es nicht klappt, gibt es noch so vieles, was sich zu lieben lohnt. In Summe hat mich das Buch mir selbst und den Menschen, die ich liebe, nähergebracht und mir wieder Lust auf Lieben gemacht.  

 

Corona hat etliche Paare und zahlreiche Familien in den Ausnahmezustand versetzt. Was ist gerade jetzt für die Liebe besonders wichtig?

JC: Viren sind, auch wenn die Gefahren und Einschränkungen keinem von uns gefallen, ein Teil des Lebens. Ein Mensch, der aus der Fülle lebt, kann sich den Gesetzen des Lebens unterstellen, weil er weiß, dass nicht immer alles so kommt, wie er es sich wünscht. Wer innerlich Frieden mit dem Risiko Leben schließt, wer gelernt hat, dass die eigene Stimmung nicht von äußeren Umständen anhängt, verhindert einen Resonanzboden für Panik und kann so mit Herausforderungen ruhiger und erfolgreicher umgehen. Diese innere Position der Stärke ermöglicht einen liebvolleren Umgang, was sich beruhigend auf die ganze Familie auswirkt. Natürlich bleiben Konflikte nicht aus, wenn man auf engem Raum aufeinandersitzt. Im Kontext der Liebe lassen sich große Krisen jedoch bewältigen. Mit unserem Buch wollen wir den Menschen näherbringen, wie sie auch in stressreichen Zeiten Halt in sich finden und verständnisvoll mit sich und anderen umgehen können.

 

Was machen Sie, um Ihre Beziehung täglich zu pflegen? Hätten Sie beide einen Tipp für uns?

SE: Ich liebe den Gedanken des Seelenbandes, über das wir im Buch sprechen. Dieses Band hat nichts mit der viel zitierten Seelenverwandtschaft zu tun. Um sich als Paar wieder intensiv zu spüren, ist es notwendig, sich in andere Welten zu begeben. Immer wieder eine Auszeit vom Alltag zu nehmen und gemeinsam in den Erlebnismodus zu gehen, um neue und vielleicht sogar außergewöhnliche und aufregende Erfahrungen zusammen zu machen. Im letzten Winter habe ich mich zum Beispiel nach über 30 Jahren das erste Mal wieder auf Skier gestellt und meinen Freund, der sehr gut Ski fährt, als engagierten und geduldigen Lehrer kennengelernt.

JC: Ich lebe vielleicht auch deshalb in einer schönen und entspannten Beziehung, weil ich von meiner Frau nicht erwarte, dass sie mich glücklich macht. Ich fühle mich auch nicht dafür verantwortlich, sie glücklich zu machen. Aber wir finden beide Erfüllung darin, die Freude des anderen zu mehren. Ich genieße es, meiner Frau eine Freude zu machen, nicht nur, weil sie sich besser fühlt, sondern weil mich das in gehobene Gestimmtheit bringt, die hochansteckend ist.

 

(c) Kailash Verlag (Abdruck nur nach Rücksprache mit Verlag)

mi-yong-neumann.JPG

Mehr als 40 Verlage unter einem Dach – ein breites Themenspektrum, unzählige Titel und vielseitige Persönlichkeiten! Das Presseportal der Penguin Random House Verlagsgruppe informiert über aktuelle Themen, Neuerscheinungen, Vorschauen und Veranstaltungen und ermöglicht das komfortable Bestellen von Rezensionsexemplaren.

© Penguin Random House Verlagsgruppe