Aktuelles | 26.01.2024 | Mosaik Verlag

"Ein fremder Mensch machte mir das größte Geschenk, das es wohl auf Erden gibt."

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Tamara Schwab im Gespräch zu ihrem Buch "Dein Herz, mein Herz"

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Liebe Tamara, magst du dich kurz vorstellen?

Mein Name ist Tamara Schwab, ich bin 30, bald 31, Jahre alt, komme aus der Nähe von Nürnberg und bin studierte Wirtschaftspsychologin, Resilienztrainerin und Key-Note-Speakerin. Seit dem 1. August 2021 lebe ich mit einem Spenderherz, was auch der Grund für meine neue Buchveröffentlichung ist. Ich möchte aufklären, einen Blick hinter die Kulissen gewähren und für Menschen greifbar machen, wie wichtig es ist sich mit dem Thema Organspende auseinander zu setzen. Neben meinem Buch bin ich noch in vielerlei Hinsicht ehrenamtlich für das Thema Organspende unterwegs. 

2020 hast du ein erstes Buch über deine Herzerkrankung veröffentlicht. Um was geht es in deinem neuen Buch „Dein Herz, mein Herz“?

In meinem ersten Buch „Mein Speed-Dating mit dem Tod“ erzähle ich den Anfang meiner ganz persönlichen Herzensgeschichte, die mit der ersten Diagnose „Herzmuskel-Entzündung“ und zwei Herzstillständen begann. Dieses Buch endet im Jahr 2019. Das zweite und neue Buch „Dein Herz, mein Herz“ setzt genau an dieser Stelle an und erzählt meine Geschichte weiter. Denn sehr unverhofft überschlugen sich wenig später die Ereignisse. Ich erhielt plötzlich eine vollkommen neue Diagnose: Ein unentdeckter genetischer Defekt war die wahre Ursache meiner Erkrankung. Und auch meine Situation eskalierte erneut. So schlimm, dass von einem Moment auf den anderen nur noch eine Lösung im Raum stand, die mir von den Ärzten erst für viele Jahre später prognostiziert worden war: Ich brauchte ein Spenderherz. Doch so einfach war das nicht. Ich musste kämpfen – gegen Ärzte, gegen meine Herzrhythmusstörungen und für mein Leben. Der Kampf hat sich aber gelohnt und ich lebe seit dem 1. August 2021 glücklich und gesund mit dem Herz eines fremden Menschen in meiner Brust. „Dein Herz, mein Herz“ nimmt die Leser mit auf diese emotionale Reise. Ich teile meine Geschichte, meine Gedanken und Gefühle während dieser herausfordernden Zeit und verrate den Lesern gleichzeitig wie man solch schwierige Lebenssituationen mental gesund bewältigen kann.

Deine gesundheitliche Biographie liest sich stellenweise wie ein Thriller. Wie schaffst du es, stets so positiv zu bleiben?

Mit der Antwort auf diese Frage kann ich ganze Bücher und Seminare füllen! Ganz grob gesagt: Ich bin überzeugt davon, dass ich bereits vor meinen gesundheitlichen Einbrüchen ein hohes Maß an Resilienz hatte und diese in meinen schweren Phasen weiter und weiter ausgebaut habe. Resilienz war wohl meine geheime Superkraft, die mir half, alles gut zu überstehen und dabei stets positiv zu bleiben. Aber was ist Resilienz genau? Resilienz ist unsere psychische Widerstandsfähigkeit, die uns dabei hilft, herausfordernde Lebensumstände ohne anhaltende Beeinträchtigungen zu überstehen. Dabei besteht Resilienz aus mehreren Persönlichkeitseigenschaften. Zu diesen gehören zum Beispiel Lösungsorientierung, Selbstwirksamkeitsüberzeugung, Optimismus, Akzeptanz und vieles mehr. Ich war zum Beispiel schon vor meiner Herzerkrankung ein sehr optimistischer Mensch. Diese Eigenschaft half mir auch in den schwierigen Zeiten felsenfest an das gute Ende zu glauben. Genauso wie ich schon lange überzeugt davon bin, dass man immer auf irgendeine Art und Weise Einfluss auf seine Situation nehmen kann und bei der Lösungsfindung manchmal nur kreativ werden muss. Doch diese Überzeugungen, Einstellungen und Eigenschaften müssen nicht in die Wiege gelegt sein, sondern man kann sie auch erlernen. Entweder auf die harte Tour in herausfordernden Zeiten, oder schon vorher. 

Lisa Mussauer

Wie erklärst du dir, dass du drei Jahre falsch behandelt wurdest – obwohl deine wahre Erkrankung leicht zu googeln war?

Mir hat vor einiger Zeit mal ein Arzt gesagt: „Im Medizinstudium lernt man, Pferde zu erkennen. Aber keine Zebras.“ Und ich, ich war ein Zebra. Ein seltener Fall, den man im Vergleich zu Pferden kaum sieht. Und der rein statistisch gesehen mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit in die Praxis marschiert. Diagnosen werden oft vorschnell anhand von ein paar Symptomen mit Rückgriff auf die Statistik getroffen, teure Untersuchungen vermieden und Diagnosen von vorherigen Ärzten nicht in Frage gestellt. Und genau so passiert es, dass die entscheidenden Indizien fehlen, die schon viel früher bewiesen hätten, dass ich kein Pferd, sondern ein Zebra bin, das eine ganz andere Behandlung braucht. 

Einige Ärzte hatten dich zeitweilig fast aufgegeben – nur durch deine aktive Suche nach Hilfe konntest du überleben. Hast du einen Rat für Schwerkranke, die sich vom deutschen Gesundheitssystem im Stich gelassen fühlen?

Ja! Hilfe existiert nicht nur im deutschen Gesundheitssystem. Hilfe existiert auch unter Leidensgenossen, in Vereinen, Selbsthilfegruppen und durch Psychologen. Aber um diese Hilfe muss man bitten beziehungsweise aktiv werden, offen sein, sich dahinter klemmen. Manchmal können aber gerade diese Hilfen entscheidend sein, um uns neue Wege aufzeigen, Kontakte zu vermitteln und vieles mehr.

Im Buch berichtest du auch von einer Nahtod-Erfahrung. Wie war das für dich?

Meine zweite Nahtoderfahrung erlebte ich während meinem letzten Mal Kammerflimmern inklusive acht Elektroschocks meines implantierten Defibrillators. Nach den ersten beiden Schocks wurde ich ohnmächtig und plötzlich rasten ganz viele Bilder an meinem inneren Auge vorbei. So schnell, dass ich mich nicht mehr an den Inhalt der Bilder erinnern kann. Bis auf das letzte Bild. Denn das war wieder mein Blick vom Krankenbett aus. Ich war wieder wach. Schwestern wuselten um mich herum, große Aufregung war im Krankenzimmer. Doch sowohl bei meiner ersten Nahtoderfahrung, die ich während meines zweiten Herzstillstandes hatte, als auch bei dieser zweiten Nahtoderfahrung hatte ich nie das Gefühl, dass es etwas Schlimmes ist. Im Gegenteil – beim ersten Mal fühlte sich alles wie ein schöner Traum an. Bis ich wieder wach wurde und die Schmerzen durch die Elektroschocks spürte. Seitdem habe ich keine Angst mehr vor dem Sterben.

Du schreibst, mit dem neuen Herzen hättest du eine große Verantwortung übernommen. Was genau meinst du damit?

Ein fremder Mensch machte mir das größte Geschenk, das es wohl auf Erden gibt: Sie/er schenkte mir ihr/sein Herz und damit Lebenszeit! Lebenszeit, die sonst nicht mehr möglich gewesen wäre. Doch gleichzeitig bin ich der Meinung, dass man sich auch bewusst sein sollte, dass man mit diesem Geschenk auch Verantwortung übernimmt. Verantwortung für etwas, das für einen anderen Menschen etwas ganz Kostbares war und selbstlos verschenkt wurde. Verantwortung, dieses fremde Herz in meiner Brust zu pflegen, gut zu ihm zu sein, und es für das zu nutzen, wofür es geschenkt wurde: Für ein intensives, ereignisreiches und schönes Leben. Ein Leben, das man für sich lebt, aber irgendwie auch für seinen Heldenmenschen, von dem ein Teil nun für immer in einem schlägt. 

Tamara Schwab, Privat

Weißt du wer der Spender deines Herzens ist?

Nein. In Deutschland ist es verboten, etwas über den oder die OrganspenderIn zu erfahren. Die einzige Möglichkeit, die es gibt, ist ein anonymer Dankesbrief, den man an die Spenderfamilie schreiben kann und der über die Klinik beziehungsweise die Deutsche Stiftung Organtransplantation an die Familie weitergegeben wird. Auf demselben Weg kann man auch eine Antwort zurückerhalten und so zumindest das Geschlecht oder andere kleine Details des Spenders oder der Spenderin erfahren. 

Im Buch schreibst du, dass du vor der Transplantation befürchtet hast, nach der OP eventuell neue Wesenszüge zu bekommen. Ist dem so?

Nein, da muss ich tatsächlich eine ganz rationale Antwort geben. Ich bin noch genau die gleiche Tamara wie vorher – außer, dass ich nun viel mehr Dankbarkeit und Lebensfreude als vor der Transplantation in mir spüre. Ansonsten habe ich mich aber nicht verändert und kann den Mythos, dass man durch ein fremdes Herz ein anderer Mensch mit anderen Wesenszügen wird, nicht bestätigen. 

Fiel dir der Abschied von deinem eigenen Herzen schwer?

Auf die Gefahr hin, dass es grausam klingt, verrate ich dir trotzdem, dass mir der Abschied nicht schwerfiel. Wir zwei haben viel zusammen durchgemacht, viel erlebt und viel geschafft. Doch besonders in den vergangenen Jahren habe ich mehr und mehr gezeigt bekommen, dass ich mich auf mein Herz nicht mehr verlassen kann. Weil es schlicht und ergreifend zu krank war, um verlässlich für mich da zu sein. Deshalb, denke ich, muss man manchmal loslassen können. Akzeptieren, dass der gemeinsame Weg in einer Sackgasse mündet. Und bereit sein, sich zu trennen. Nicht im Bösen. Sondern mit Akzeptanz, dass die gemeinsame Zeit ein Ende hat.

Hast du dein altes Herz noch einmal gesehen?

Wie gerne würde ich diese Frage mit „Ja“ beantworten. Ich hätte es wahnsinnig spannend gefunden, es genauer unter die Lupe zu nehmen, bevor es im ethischen Abfall und dann in der Verbrennungsanlage landet. Konnte man vielleicht sogar von außen die genetischen Veränderungen meines Herzens erkennen? Ich werde es leider nie erfahren. Doch spannend hätte ich es gefunden. Vor allem: Wer kann schon von sich behaupten, dass er sein eigenes Herz gesehen hat?

Tamara Schwab, Privat

Wie lange „hält“ das neue Herz? Hast du seit dem 1. August 2021 eine normale Lebenserwartung?

Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Spenderherzens liegt laut der Deutschen Herzstiftung bei rund zehn Jahren. Danach kann aber noch eine Retransplantation, also eine zweite Herztransplantation, weitere Lebensjahre schenken. Ich orientiere mich persönlich lieber an Beispielen aus meinem direkten Bekanntenkreis: Personen, die seit 30 Jahren herztransplantiert sind und denen es gut geht. Oder der Mensch, der bereits vor 40 Jahren sein Spenderherz bekam und damit der älteste Mensch in Deutschland ist, der am längsten mit einem einzigen Spenderherz lebt. Diese Personen sind meine Vorbilder.

Inwiefern musst du auch heute noch auf deinen Körper besonders achtgeben?

Natürlich muss ich weiterhin auf meinen Körper achtgeben. Besonders, weil ich nun lebenslang Medikamente nehmen muss, die mein Immunsystem schwächen und es dadurch daran hindern, mein neues Herz abzustoßen. Doch ein geschwächtes Immunsystem hat auch Nachteile – ich kann schneller und stärker krank werden, ebenso habe ich eine höhere Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken. Ich muss mich somit immer von kranken Menschen fern halten und in sehr regelmäßigen Abständen Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen. Aber auch regelmäßiger Sport und eine gesunde Ernährung sind wichtig – schließlich müssen mein Herz und der restliche Körper auch gepflegt werden. Nicht zuletzt: Ein gutes Körpergefühl ist das A und O. Denn wenn mein Körper mir Signale gibt, muss ich diese wahrnehmen und darauf reagieren. Egal ob es Stress ist oder potenzielle Signale einer Abstoßung. Mit einem guten Körpergefühl kann man schnell reagieren!

Was wünschst du dir für die Organspende in Deutschland?

Ich wünsche mir mehr Menschlichkeit, mehr Nächstenliebe und andere Organspendegesetze für unser Land. Spanien ist hier ein ganz tolles Beispiel: Organspender werden dort als wahre Helden gefeiert, es herrscht ein ganz anderes gesellschaftliches Ansehen von Organspendern. Und auch die Gesetze sind dort viel bessere als unsere. Beispielsweise herrscht dort die Widerspruchsregelung: Man muss aktiv „Nein“ und nicht aktiv „Ja“ sagen. Als Spendekriterium gilt nicht nur der Hirntod, sondern auch der Herztod. Und Spaniens Gesundheitssystem ist in Hinblick auf die Organspende auch viel besser organisiert als das deutsche Gesundheitssystem. Hier kann sich Deutschland viel abschauen – und muss dies auch dringend tun! Damit die Statistik in Deutschland nicht mehr länger täglich drei Tote vermerken muss, die auf der Warteliste standen und nicht rechtzeitig ein Spenderorgan erhielten.

Danke für deine Zeit, liebe Tamara.

Das Interview führte Julia Meyn für den Mosaik Verlag. Interview bei gleichzeitiger Abbildung des Buchcovers zum Abdruck freigegeben.

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