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Hugo Hamilton

Die redselige Insel

Irisches Tagebuch

Erscheinungstermin: 2. April 2007

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Als Heinrich Böll beschloss, die Grüne Insel, die ihm seit Jahren auf seinen Reisen soviel Freude bescherte, durch sein „Irisches Tagebuch“ zu würdigen, konnte er nicht ahnen, welchen Strom an deutschen Besuchern er die nächsten Jahrzehnte damit auslösen würde. Die Liebe der Deutschen zu Irland war vielleicht vorher schon da, aber jetzt war sie besiegelt. Bei seinen Reiseschilderungen verfuhr der Nobelpreisträger nicht anders als in seinem restlichen, berühmten Werk. Scheinbar mühelos und intensiv vergegenwärtigte er Menschen und Landschaft und immer auch das soziale Ambiente mit all seinen Gerüchen, Geräuschen und profanen Ritualen, erzählte von Pubs, Regentagen, Ruinen, kleinen Szenen des Alltags. Und gleichzeitig war dieses Werk „ein verstecktes Deutschlandbuch, denn mit seinen Reisenotizen strebt Böll eine mittelbare Kritik der einheimischen Verhältnisse an: Irland wird immer wieder als Gegensatz zur Bundesrepublik betrachtet“ (Marcel Reich-Ranicki).

Wenn sich nun Hugo Hamilton, der von sich selbst sagt, er stehe stets mit einem Bein in Deutschland und mit dem anderen in Irland, ein halbes Jahrhundert später auf die Spuren des ersten großen Irlandfahrers begibt, kann das nur eine höchst spannende Auseinandersetzung werden. Er besucht dieselben Orte, vor allem im County Clare und auf der Insel Achill, aber auch in Dublin, Westport und Limerick, sieht nach, was aus den Menschen geworden ist, die Böll beschrieben hat, und überbrückt mit seinen klugen und vergnüglichen Beobachtungen mühelos fünfzig Jahre irische und deutsche Entwicklung. Er tritt in einen imaginären Dialog mit Heinrich Böll, trägt aber auch selbst Erinnerungen und Geschichten bei und schafft so ein ganz eigenes Porträt dieser besonderen Insel.

So erzählt er von dem Mädchen mit den Augen von Vivien Leigh, Siobhan, der Ältesten von Mrs. D., die nicht im Postamt auf Achill geblieben ist. Es gibt nicht einmal mehr das Postamt – es hat nicht mehr denselben Stellenwert wie damals, als die Emigranten Geld schickten. Inzwischen kommen die Emigranten nach Achill, es sind Polen und Litauer, die hier Arbeit suchen. Siobhan hat auch nicht den jungen Mann geheiratet, der damals im Postamt saß und mit den Beinen schlenkerte. Sie trat mit den Dubliners im Fernsehen auf, lebt aber jetzt wieder mit ihrem Mann auf Achill, hat sechs Kinder, und ihre Tochter Mayo hat ihre blauen Augen geerbt. Und in den Semesterferien arbeitet Mayo in derselben Pension, in der ihre Großmutter den Bölls Sandwiches schmierte.

Im Bervie Guest House in Keel hat sich das ganze Dorf versammelt, um den fünfzigsten Jahrestag von Bölls erster Nacht zu feiern, und man diskutiert, ob noch etwas von dem Land übrig ist, von dessen Bewohnern er behauptete, sie seien glücklicher, als ihnen bewusst sei. Inzwischen, meint Hugo Hamilton, wissen sie, daß sie glücklich sind. Liegt es am irischen Regen in seinen vielen verschiedenen Erscheinungsformen? Weil man die Pausen dazwischen sofort nutzen muss? Gibt es deswegen soviel Musik, Geschichten und Volksaufstände? In einem Pub bekommt Hamilton eine andere Erklärung: Irland sei wie ein Blinder, der Auto fährt. Denn das Geheimnis des irischen Erfolgs bestehe darin, daß sich die Iren einfach alles zutrauen. Das Reden ist jedenfalls nach wie vor Irlands hervorstechendster Charakterzug: „In Irland ist man ein Niemand, wenn man nicht redet oder wenn nicht über einen geredet wird oder wenn man nicht jemandem zuhört, der redet.“ Und diese hohe Kunst wird immer noch gepflegt, vor allem in den Pubs. Vom medizinischen Fortschritt kommt man zu Hurling und Surfen, dann zu dem neuen Prachtbau vorn an der Bucht, zu einem verschwundenen Lotterielos, das das ganze Dorf veranlasste, auf dem Boden und in den hintersten Ecken zu suchen, bis zu einem Besuch von John Lennon den Sechzigern, der nicht erkannt wurde. Durch das Rauchverbot hat sich sogar eine neue Kunstform der Rede herausgebildet: die Abschiedszeile, bevor der Raucher die Runde verlässt. Sie soll die Zurückgebliebenen beschäftigen, bis er wiederkommt.

Das braune Torfmoor, die rosagrauen und bernsteingelben Wolken, verfallene Ruinen, brausender Wind - natürlich erzählt Hamilton auch von der irischen Landschaft, von der Magie des Torffeuers, von der irischen Freude an der Verkleidung der Wahrheit. Und er erzählt von der Bewegung, die das Land erfasst hat, vom tanzenden Westport, von Dublins ewiger Jugend, vom Konsumrausch, von Drogen, vom Wohlstand. Und trotzdem hat diese Insel, wie Hamilton sie findet und beschreibt, von ihrem Charme nichts verloren, denn der Ire, so behauptet ein Gegenwartsdichter, sei stets „global betrübt und lokal vergnügt“.

Im Dialog mit Böll, in der Rückschau auf die Vergangenheit, auch die politische, und im Entdecken der Gegenwart jenseits aller Klischees stellt Hamilton fest, daß die Beziehung zwischen Deutschen und Iren eine ganz besondere ist, auch wenn sich viel verändert hat: „Du hast einmal behauptet, die Iren seien das traurigste Volk der Welt, aber in Wahrheit waren die Deutschen am traurigsten, hatten das schlimmste Heimweh und das größte Bedürfnis nach Geborgenheit. Und vielleicht hast du auf Achill etwas entdeckt, das in Deutschland verlorengegangen war, etwas, das die Deutschen dann in Irland wiederfanden und mit nach Hause nahmen.“

  • Ausgabeformat
    Taschenbuch, Klappenbrosch.
    Originalausgabe
  • Übersetzt von
    Henning Ahrens
  • Seiten & Größe
    160 Seiten | 11,8x18,7 cm
  • ISBN
    978-3-630-62117-3
  • Preis
    EUR 9,00 [DE] [inkl. MwSt] | EUR 9,30 [AT] | CHF 12,90 [CH]*
    (* empf. VK-Preis)
  • Verlag
    Luchterhand Literaturverlag
  • Originaltitel
    The Island of Talking

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Cover

  • Hugo Hamilton

    Autor

    wurde 1953 als Sohn eines irischen Vaters und einer deutschen Mutter in Dublin geboren. Er arbeitete zunächst als J...
  • Henning Ahrens

    Übersetzer

    1964 in Niedersachsen geboren, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Frankfurt. Er übertrug u.a. Werke von Jona...

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